Innovationsverbund „DEFEAT CORONA“ untersucht Langzeitfolgen der Pandemie

  • 27.09.21 14:42
  • Vera Huber
  •   Wolfenbüttel / Am Exer

Gesundheitliche und psychosoziale Langzeitfolgen spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Corona-Pandemie. Eine überstandene Infektion mit SARS-CoV-2 bedeutet nicht unbedingt eine vollständige Genesung. Ein nicht zu vernachlässigender Anteil von Personen leidet unter erheblichen Langzeitfolgen, über die bisher relativ wenig bekannt ist. Um diese „Long COVID“ -Themen kümmert sich das Verbundprojekt „DEFEAT CORONA: Defense Against COVID-19 Study – Looking forward“. Gemeinsam wollen Forscherinnen und Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover (Verbundleitung), der Universitätsmedizin Göttingen und der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften eine Forschungs- und Studienplattform aufbauen, um mehr über COVID-19 und die Langzeitfolgen zu lernen und damit zugleich ein digitales Beratungsangebot schaffen – eine Anlaufstelle mit Spezialsprechstunde, um Menschen aus allen Teilen Niedersachsens einen Zugang zur Hochleistungsmedizin zu verschaffen.

Über den Part der Ostfalia Hochschule sprach Nadine Zimmer mit Prof. Dr. Frank Klawonn, der das Teilprojekt „MaChine LEArning for Finding Symptom Clusters“ in dem Innovationsverbund verantwortet.

Herr Prof. Dr. Klawonn, warum braucht es gerade in diesem Projekt die disziplinübergreifende Zusammenarbeit zwischen sozial- und biomedizinischer Kompetenz und Ihrer Fachexpertise aus der Datenanalyse und Statistik?

Es gibt noch viel zu lernen über die Langzeitfolgen der Infektion, über die Art der Symptome, wie lange diese anhalten oder welche Variablen den Genesungsprozess beeinflussen. Daher basiert ein Projekt wie dieses auf einer breit angelegten Datenerhebung, um eine möglichst große Studienkohorte zu bilden. Wir haben also eine Situation, in der es darum geht, in einer sehr großen Datenmenge Muster zu erkennen von multivariaten Kombinationen. Zum Beispiel, ob bestimmte Kombinationen von Symptomen besonders häufig auftreten in Korrelation zu gewissen demografischen Faktoren wie Alter, Geschlecht oder aber auch zu individuellen Faktoren wie Vorerkrankungen. In solchen Datenmengen Muster zu erkennen, wenn nicht eine gezielte Hypothese überprüft werden soll, ist für einen Menschen quasi unmöglich. Das können Sie nicht, das kann kein Mediziner, das kann auch ich als Datenanalyst nicht von Hand. An diesem Punkt kommen automatisierte Verfahren der explorativen Datenanalyse, der Statistik und des maschinellen Lernens ins Spiel.

Welchen Beitrag kann das maschinelle Lernen im Projekt „DEFEAT CORONA“ ganz explizit leisten?

Mit den Verfahren des maschinellen Lernens unterstützen und beschleunigen wir die Datenverarbeitung. Es kann mit Hilfe von Algorithmen Zusammenhänge aufzeigen, die gehäuft auftreten. Man schaut sich also an: Wie ähnlich sind die Werte und können Gruppen mit ähnlichen Werten identifiziert werden? Das ist Hauptaufgabe unseres Teilprojekts: Die geeigneten Verfahren und Algorithmen des maschinellen Lernens auszuwählen, anzupassen, zu erweitern und anzuwenden, die notwendig sind, um Symptomcluster zu finden.

Wo liegen dabei besondere Herausforderungen und auch Grenzen?

Nun, im Grunde ergeben sich immer Muster, auch im chaotischsten Gewirr erkennen Menschen und auch Algorithmen Muster, aber eben auch zufällige. Einfaches Beispiel: Sie spielen Mensch-ärgere-dich-nicht. Irgendwann wird irgendjemand auch mal vier Sechsen hintereinander werfen. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber es kommt vor. Und ist dann strenggenommen auch ein Muster, aber eben keines, das von bestimmten Variablen abhängt oder gesteuert ist, sondern ein zufälliges, das eben mal passiert. Es gilt, die gefundenen Muster genau anzuschauen und im Fall von diesem speziellen Projekt aus der medizinischen Fachexpertise heraus zu deuten und auf Plausibilität zu prüfen. Es ist also immer herauszuarbeiten, was der tatsächliche Effekt in dem Cluster ist. Hier stößt ein Algorithmus an seine Grenzen. Nur im Zusammenspiel aus künstlicher Intelligenz, die in der Lage ist, die Daten sehr schnell auf mögliche Muster zu scannen und menschlicher Intelligenz und Erfahrung, die diese Muster dann genauer hinterfragt, kann es funktionieren.

Ein spannendes Projekt – was fasziniert Sie besonders daran?

Nun generell fasziniert mich die Analyse von Daten – in Daten spannende Zusammenhänge zu entdecken und Hypothesen aufzustellen, zu bestätigen oder zu widerlegen. Das ist im Grunde wie Detektivarbeit und macht mir extrem viel Spaß. Hinzukommt bei dieser Art von interdisziplinären Projekten mit dem Schwerpunkt Biostatistik eine ganz besondere Sinnstiftung. Ich versuche mit meiner Datenanalyse der Medizin zu helfen, die wiederum Menschen damit helfen kann. Das motiviert mich auf besondere Weise.

Frank_Klawonn

Prof. Dr. Frank Klawonn.

Zur Person:

Prof. Dr. Frank Klawonn ist Professor für Datenanalyse und Mustererkennung an der Fakultät Informatik der Ostfalia Hochschule in Wolfenbüttel und leitet zudem die Forschungsgruppe Biostatistik am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Statistik, maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz sowie explorative Datenanalyse.

Kontakt: f.klawonn@ostfalia.de

 

Förderung des Projekts:

Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) fördert das Projekt Verbundprojekt DEFEAT CORONA aus Mitteln der „Innovationsinitiative Plus“ zur Bewältigung der Coronavirus-Krise der EU-Kommission mit 1,2 Millionen Euro. Davon erhält die Ostfalia Hochschule 149.558,12 Euro. 

Mehr Informationen zum Projekt DEFEAT CORONA:

https://www.defeat-corona.de/

Zur offiziellen Pressemitteilung des MWK geht es hier.

Text: ZIM

Foto: Ostfalia

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