Der Herr Matschke und die Fotografie

  • 26.01.21 14:42
  • Vera Huber
  •   Wolfenbüttel

Wer im Dezember 2020 durch die Gänge am Campus Wolfenbüttel ging, sah Ungewöhnliches im Hörsaal A067 der Fakultät Maschinenbau. Ein Herr mit weißen Handschuhen inspizierte große Bilder. Bei näherem Hinsehen erkannte man, dass er diese bearbeitet. Der Herr heißt Lutz Matschke, war ehemals als Maschinenbauingenieur tätig, hat aber seit Langem seine Berufung in der Fotografie gefunden.

Wie sich herhausstellen sollte, die richtige Entscheidung. 1999 erwarb das Museum Ludwig in Köln sieben seiner Werke und nahm eines davon auch in den hauseigenen Kalender des Jahres 2000 auf. Den Monat Juli zierte sein Werk „Sandra, Lago Correntoso, Patagonia, February 1998“. Als Fulbright-Stipendiat konnte Matschke seine Kunst ebenfalls in den Jahren 2000 bis 2001 am International Center of Photography in New York verfeinern. Zurück in Argentinien arbeitete er weiter als Schulfotograf. „Ich muss jährlich an die 800 Kinder fotografiert haben“, erinnert sich Matschke.  

So weit so gut, doch irgendwann sollte es zum zweiten Wandel im Leben des Herrn Matschke kommen. Mit seiner Frau verbrachte er die Wintermonate in Buenos Aires und den Sommer im Naturpark Nahuel Huapí Patagonien. Eines Tages sagte sie zu ihm: „Entweder wir bleiben nun ganz hier in Patagonien oder wir gehen nach Berlin.“ Gepackt wurde im Jahr 2009 und Berlin erhielt den Zuschlag.  Lutz Matschke studierte erneut, dieses Mal an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und zwar Konservierung und Restaurierung / Audiovisuelles und Fotografisches Kulturgut und leitet seit 2017 das Zentrum für Fotorestaurierung und Fotoforschung. 

Ein Tipp des Instituts Heidersberger in Wolfsburg brachte den Fotografen zumindest räumlich wieder zurück in den Maschinenbau – und zwar in den Flur der Ostfalia am Campus Wolfenbüttel.

Hier müssen wir uns nun kurz in das Wolfenbüttel der fünfziger Jahre begeben. Anlässlich des Neubaus der damaligen Staatlichen Ingenieurschule und Vorgängereinrichtung der heutigen Ostfalia an der Salzdahlumer Straße wurde der renommierte Industriefotograf Heinrich Heidersberger beauftragt, die 1955 vorhandenen Fachbereiche Elektrotechnik und Maschinenbau bildlich darzustellen.

Neben Symbolen für Mechanik oder Hochfrequenztechnik entstanden auf einem großen Wandbild auch diejenigen Schwingungsbilder, die Heinrich Heidersberger Rhythmogramme nannte. Für dieses spezielle Format konstruierte er seinen `Rhythmographen`, einen komplexen Pendelverband aus Aluminiumgestängen, der über einem beweglichen Spiegel eine punktförmige Lichtquelle auf eine fotografische Platte projizierte.

Heidersberger betrat nicht nur mit innovativen Bildformaten Neuland. Mit seinem Wolfenbüttler Wandbild wurde er auch zum Vorreiter auf dem Gebiet ‚Kunst am Bau‘. Diese Regelung wurde erdacht, um bildende Kunst im öffentlichen Raum zu fördern und sieht vor, bei allen Bauaufträgen (Neu- und Umbauten) des Bundes, grundsätzlich einen Betrag von mindestens einem Prozent der Bauauftragssumme für Werke bildender Künstler bereitzustellen.

Doch auch an dieser Art der Fotografie nagt der Zahn der Zeit. Nach über 50 Jahren befand sich das Wandbild noch in einem guten Zustand, doch um diesen zu gewährleisten wurde 2008 die nachgedunkelte Oberflächenversiegelung der Fotografien erneuert und kleinere mechanische Beschädigungen behoben. Im Jahr 2020 folgte die nächste Erneuerung. Das Institut Heidersberger in Wolfsburg hat der Ostfalia einen Restaurator empfohlen und nun kommt der Herr Matschke wieder ins Spiel. Umgeben von argentinischer Musik, Lebkuchen, einem Adventskranz und allerlei Tinkturen, Lappen, Pinseln und Farben verhalf er den Rhytmogrammen am Campus in Wolfenbüttel zu neuem Glanz. Den Anfang macht immer die Trocken- und Nassreinigung der Exponate. Die oberste Schicht, die Firnis darf nicht beschädigt werden, es gibt aber auch anderes zu beachten. „Wichtig bei der Ausbesserung ist, dass man nicht überrestauriert. Das Alter muss bleiben. Wenn es eine Beschädigung gibt, die vom Bild ablenkt, dann restauriere ich“, erklärt Matschke. Rund 20 Tage nahm er die Bilder genauestens unter die Lupe und entfernte Flecken und Auflagerungen, die die Fotografie in Zukunft hätten beschädigen können. Der leidenschaftliche Mateteetriner ist übrigens auf Kaffee, zumindest den, der sich auf Bildern befindet, nicht gut zu sprechen: „Kaffee ist kein Farbstoff, sondern ein Pigment. Diese Flecken sind sehr hartnäckig.“ Vor Weihnachten wurden alle Bilder von Kaffeeflecken befreit. Zu der pofessionellen Restaurierung der neun Fotografien, die je 1 x 2 Meter messen, gehört abschließend eine Dokumentation der Arbeit. Neben der Restaurierung widmet sich Matschke weiterhin leidenschaftlich der Fotografie und obwohl sich sein künstlerisches Werk auf die Natur und den Akt konzentriert, gefallen ihm die Rhytmogramme von Heidersberger. „Ich kenne dieses Werk nun beinah in- und auswendig, aber ich schaue mir die Bilder sicherlich noch einmal an,“ plant Matschke. 

Restauration Heidersberger 

Lutz Matschke bei der Restauration der Heidersberger Rhythmogramme am Campus Wolfenbüttel.

Das Wandbild in der Salzdahlumer Straße 46/48 kann ist natürlich für jedermann zugänglich. In der Vorlesungszeit von Montag bis Freitag, 6:00 bis 21:00 Uhr, Sa. 7:00 bis 13:00 Uhr. Bitte informieren Sie sich vorab zum aktuellen Corona-Schutz an der Ostfalia.

Matschke

 

Text & Fotografie: A. Salbach

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