Im Interview: Prof. Dr. Claudia Kaiser

  • 09.09.20 13:35
  • Sabrina Dora Seal
  •   Wolfenbüttel / Am Exer Wolfenbüttel

Im Interview: Prof. Dr. Claudia Kaiser

Prof. Dr. Claudia Kaiser erhielt ihren Ruf an die Ostfalia im Dezember 2018. Im September 2019 nahm sie ihre Lehr- und Forschungstätigkeit mit dem Schwerpunkt Soziale Gerontologie an der Fakultät Soziale Arbeit am Campus Wolfenbüttel auf. Mehr darüber berichtet sie im Interview mit der Ostfalia-Redaktion.

 

Was haben Sie vor Ihrem Ruf gemacht?

Bevor ich an die Ostfalia kam, war ich bereits vier Jahre als Professorin für Gerontologie an der Hochschule Niederrhein am Standort Mönchengladbach tätig. Dort habe ich am Fachbereich Sozialwesen bereits ähnliche Aufgaben gehabt und Studierende der Sozialen Arbeit unterrichtet. Zugleich habe ich das Kompetenzzentrum Ressourcenorientierte Alter(n)sforschung REAL geleitet, an dem wir zum einen anwendungsorientierte Forschung mit Praxispartnern der Region durchgeführt und zum anderen das bereits seit vielen Jahren etablierte Seniorenstudium FAUST durchgeführt und mit engagierten Seniorinnen und Senioren weiterentwickelt haben.

Von 2010 bis 2015 war ich Wissenschaftliche Referentin für Gesundheits- und Pflegepolitik bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen BAGSO mit Sitz in Bonn. Spannend war hier vor allem die Mitarbeit an zentralen seniorenpolitischen Themen, die Einbindung in zahlreiche Gremien auf Bundes- und EU-Ebene, die Mitwirkung an gesundheits- und pflegepolitischen Gesetzgebungsverfahren und die Leitung verschiedener Praxis- und Modellprojekte.

Zuvor war ich insgesamt acht Jahre als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Halle-Wittenberg und Vechta in der Lehre als auch in der Drittmittelgeförderten Forschung tätig. Meine Promotion habe ich an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zur Transnationalen Altersmigration in Europa abgeschlossen, in der ich die Lebenswelt älterer Deutscher auf Mallorca empirisch erforscht habe.

Studiert habe ich zum einen Diplom-Geographie mit den Nebenfächern Soziologie und Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg und der University of Aberdeen (Schottland) und zum anderen Diplom-Gerontologie mit dem Schwerpunkt Management und Sozialplanung an der Universität Vechta.

 

Wo liegt der Fokus Ihrer Professur?

Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf der Sozialen Gerontologie, also der Erforschung der Lebensphase Alter und des Alterns in interdisziplinärer Perspektive, wobei vor allem sozialwissenschaftliche, psychologische, gesundheitswissenschaftliche und sozialrechtliche Zugänge eine wichtige Rolle spielen.

Meine Interessen und Arbeitsschwerpunkte liegen dabei zum einen auf Gemeinwesenarbeit, Bürgerschaftlichem Engagement, Bildung, Wohnen und Technik im Alter sowie auf der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung der heterogenen Gruppe älterer Menschen und ihrer Inklusion. Seit vielen Jahren beschäftige ich mich auch mit Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen. Gesundheitsförderung und Prävention im Alter sind Aspekte, die noch viel mehr umgesetzt werden müssen, damit zum Beispiel auch der Grundsatz Reha vor Pflege gelebte Praxis wird.

Mit dem demografischen Wandel und der Alterung der Gesellschaft sind neue Chancen und Herausforderungen verbunden, die auch die Soziale Arbeit und ihre Handlungsfelder stark verändern (werden). Daher haben meine Inhalte auch einen wichtigen Anwendungsbezug. Insofern freue ich mich besonders über die Zusammenarbeit mit Praxispartnern der Region aus dem Bereich der Altenhilfe und Seniorenarbeit.

 

Warum haben Sie sich für dieses Forschungs- und Lehrgebiet entschieden?

Mich hat schon immer eine interdisziplinäre Herangehensweise an komplexe Fragestellungen und gesellschaftliche Herausforderungen gereizt. Mit dem Fokus auf die Lebensphase Alter und den Prozess des Älterwerdens stehen eine Fülle von Themen bereit, die es sowohl grundlagen- als auch anwendungsorientiert zu erforschen gilt. Dabei ist die Gerontologie noch ein eher kleines Fachgebiet mit dem Reiz, dass die Community der Forschenden und Lehrenden überschaubar und gut vernetzt ist. Hier kann man viel voneinander lernen, neue Bezüge entdecken und auch auf europäischer und internationaler Ebene relevante Arbeit leisten. Altern findet überall auf der Welt, aber unter sehr unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen statt. Das finde ich spannend.

 

Was ist Ihnen besonders wichtig, was sollen die Studierenden aus Ihrer Lehre unbedingt mitnehmen?

Immer wieder stelle ich fest, dass das Bild, das vor allem jüngere Studierende vom Alter und von älteren Menschen haben, nach wie vor überwiegend negativ und defizitorientiert ist. Hier ist mir ein großes Anliegen, mit Hilfe aktueller Forschungsergebnisse und Studien zu zeigen, dass die Lebensphase Alter ausgesprochen vielfältig ist und sowohl Gewinne als auch Verluste bereithält. Der Gesundheitszustand der heutigen Älteren ist im Durchschnitt erheblich besser als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Inzwischen sind die „68er“ im Ruhestand, die „78er“ und die „Generation Golf“ werden ihnen nachfolgen und sie bringen jeweils ganz andere Einstellungen und Werte mit als die Generationen vor ihnen. Insofern ändern sich auch ihre Ansprüche an sich selbst und die Gesellschaft in Bezug auf das Älterwerden.

Ebenso wichtig ist mir, dass die Studierenden erkennen, dass jeder ältere Mensch auch eine Vorgeschichte, also eine individuelle Lebensgeschichte mitbringt. Jeder ältere Mensch war einmal jung und hat verschiedene Lebensphasen mit unterschiedlichen individuellen und kollektiven Möglichkeiten durchlaufen, die das spätere Leben prägen. Diese Lebenslaufperspektive zu vermitteln ist mir sehr wichtig. Dies hilft unter anderem auch, die vorhandene soziale Ungleichheit im Alter zu erklären. Zugleich begründet sich mit dieser Perspektive auch die Notwendigkeit, in der Sozialen Arbeit noch viel mehr präventiv zu denken und zu handeln.

Besonders wichtig ist mir, dass die Studierenden einen sachlichen und analytischen Blick auf die Themen entwickeln. Dies ist in der medial aufgeladenen Welt gar nicht so einfach. Aber ich bin überzeugt, dass man nur mit Hilfe wissenschaftlich begründeter und faktenbasierter Theorie- und Methodenansätze in der Praxis professionell handeln kann.

Prof. Dr. Claudia Kaiser
Prof. Dr. Claudia Kaiser (Foto: privat)

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