Quelle: Braunschweiger Zeitung vom 28.6.2021 (print: 29.06.2021): Was bedeutet das Urteil gegen Shell für VW?
Zunächst ist hervorzuheben, dass es sich um ein zivilrechtliches Urteil eines District Courts in den Niederlanden handelt (vergleichbar mit einem Landgericht in Deutschland). Es entfaltet lediglich eine Wirkung zwischen den an dem Prozess in den Niederlanden beteiligten Parteien. (Das Urteil können Sie hier abrufen.)
Gleichwohl erlangen dieses wie auch andere Urteile weltweit eine hohe Beachtung für die zunehmende Zahl strategischer Klimaklagen von NGOs und Privatpersonen, bei denen es auch darum geht, vulnerablen Gruppen und der indigenen Bevölkerung als den Schwächsten Gehör zu verschaffen.
Die Klimaklage von Urgenda und 886 Nebenklägern bildet die erste erfolgreiche, auf Emissionsminderungen gegen einen Staat zielende Klage und erweist sich als international wegweisend für die Klimagerichtsbarkeit (vgl. Stäsche, Entwicklungen des Klimaschutzrechts und der Klimaschutzpolitik 2019–2021, EnWZ 2021, 151, 158).
Hinzutritt der jüngst verkündete Beschluss des BVerfG in Sachen des Deutschen Klimaschutzgesetzes.
Es ist zu beobachten, dass diese Urteile für Gerichte anderer Länder inspirierend wirken, aber dafür gibt es keine feststehende Regel. Eine direkte Übernahme der Entscheidung in den Niederlanden auf die deutsche Zivilprozessordnung und auch öffentlich-rechtliche Prozessvoraussetzungen scheidet aus. Urteile ergehen auf der spezifischen Rechtsgrundlage des jeweiligen Landes, die sehr unterschiedlich sein können, insbesondere in Europa trotz aller Bemühungen der EU. Einen guten Überblick über den Stand der Klimaklagen in den US und außerhalb der US gibt es hier.
Mit diesen und anderen gerichtlichen Entscheidungen sind zahlreiche schwierige und weltweit nicht einheitlich gelöste Fragen verbunden (UN, IPCC, Völkerrecht, Menschenrechte, Globale Agenda 2030 und Nachhaltigkeitsziele [SDGs], Klimakonvention etc.), die allein durch Gerichte auch nicht gelöst werden können, da Gerichte nur in dem jeweiligen Land, in dem sie Entscheidungen erlassen, auf den dort geltenden Rechtsgrundlagen entscheiden und dabei jeweils nur einen einzigen Sachverhalt beurteilen. Zusätzlich: Es gibt noch nicht einmal in Europa mit seinen 27 Mitgliedstaaten eine einheitliche Rechtsgrundlage im zivilen Recht. Auch sind die Klimaschutzgesetze in Europa (z. B. in Deutschland) (noch) nicht mit den Anforderungen/Überlegungen in Europa (Green Deal) verzahnt.
Ob Gerichte hier die richtigen Adressaten sind, darf in Anbetracht der Dimensionen der anstehenden gigantischen Aufgabe einer Transformation der (Welt-)Wirtschaft angezweifelt werden. Richtigerweise können staatsübergreifende Wege zum Schutz des Klimas und der Reduktion von Treibhausgasen nur über einen multilateralen Weg über das Völkerrecht beschritten werden, wenn sie erfolgreich sein sollen. Ein Flickenteppich einzelner Rechtsordnungen einzelner Staaten nebst dazugehörenden Gerichtsentscheidungen ergibt wenig Sinn.
Insgesamt spielen diese Themen auch in der COP26 in Glasgow (COP26 is the 2021 United Nations climate change conference) eine Rolle (31.10. – 12.11.2021).
Einen unmittelbaren rechtlichen Einfluss durch das oben genannte Urteil auf deutsche Unternehmen und/oder Verbraucher sehe ich im Moment nicht. Das Urteil hat keinerlei unmittelbare Rechtswirkungen auf das deutsche Territorium. Zudem: es dürfte in Deutschland aufgrund der unterschiedlichen Prozessvoraussetzungen ungleich schwieriger sein, einen vergleichbaren Prozess in Deutschland aufzunehmen und zu begründen. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass vor allem das BVerfG oder auch der EuGH in Klimaschutzfragen in Zukunft weitere Argumente aufgreifen werden, die aus der Gemengelage von Wissenschaft (IPCC), Völkerrecht (UN, Klimakonvention [UNFCCC], Kyoto, COP26, Paris Agreement), Nachhaltigkeitszielen (SDGs) und Menschenrechten abgeleitet werden und im Ergebnis daraus auch zur Verpflichtung von Unternehmen und Verbrauchern gelangen, die Produktion und den Verbrauch von CO2 zu senken. Aber hier sind insgesamt noch sehr viele Fragen offen, so dass selbst eine Prognose nur äußerst zurückhaltend abgegeben werden kann.
Weitere Hinweise:
Informationen zur Forschung von Prof. Dr. Huck und seinem Team finden Sie hier.