Professorin Corinna Klapproth im Interview zur Durchführbarkeitsstudie ReBoot und der
Entwicklung eines Konzepts für ländliche Regionen, das wesentlich auf der Bioenergie und ihrer
Flexibilisierung basiert.
Bitte stellen Sie sich doch kurz vor.
Mein Name ist Corinna Klapproth, ich bin seit fünf Jahren Professorin an der Fakultät
Versorgungstechnik, berufen für mathematische Modellierung und Simulation in den Bereichen Bio-,
Umwelt- und Energietechnik. Ich bin ursprünglich Mathematikerin und Physikerin und habe bereits in
verschiedenen Bereichen der Simulation gearbeitet – vom Bereich Biomechanik bis hin zur
Reifenindustrie.
Prof. Dr. rer. nat. Corinna Klapproth auf dem Weg in ihr Büro am Campus Wolfenbüttel der
Ostfalia Hochschule
Seit Oktober 2020 bearbeiten Sie gemeinsam mit weiteren Forschenden
der Ostfalia das Projekt ReBoot. Worum geht es in dem Projekt?
ReBoot ist ein Gemeinschaftsprojekt mit meinen Kollegen, den Professoren Thorsten Ahrens,
Ekkehard Boggasch und Henning Zindler aus der Fakultät Versorgungstechnik, und externen Partnern
aus der Region. Unser Ziel ist es, eine regenerative Energieversorgung im ländlichen Raum
aufzubauen, die wesentlich auf der Flexibilisierung von Bioenergie basiert. Momentan wird
Bioenergie in der Regel rund um die Uhr in konstanter Menge produziert, also zur Deckung der
Grundlast. Das ist die Strom- und Wärmemenge, die im Tagesverlauf ständig benötigt wird. Wir
möchten mit ReBoot versuchen, die Produktion von Biogasanlagen zu flexibilisieren – es soll so viel
beziehungsweise so wenig Energie erzeugt werden, wie tatsächlich benötigt wird. Dazu haben wir uns
eine ländliche Beispielregion ausgesucht und möchten es schaffen, dort eine möglichst autarke und
regenerative Energieversorgung herzustellen.
Was versteht man unter regenerativer Energieversorgung und warum ist Bioenergie als Quelle für
die Zukunft so wichtig?
Regenerative Energieversorgung ist alles, was nicht an die Ressourcen herangeht, also
insbesondere Solar-, Wind- oder auch Bioenergie. Hier wird Energie aus Biomasse gewonnen, also aus
Holz, Pflanzen, Bioabfällen oder Gülle. Die Bioenergie ist allerdings noch nicht so sehr im Fokus,
weil sie momentan sehr konstant produziert wird und dadurch im Wesentlichen nur zur Grundlast
verwendet werden kann. Mit der Änderung beziehungsweise dem Auslaufen des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes ändern sich allerdings auch die Bedingungen für die
Bioenergieanlagen. Insofern macht es Sinn, hier über Flexibilisierung nachzudenken. In Neuerkerode
möchten wir zum Beispiel versuchen, die Bioenergie in erster Linie dazu zu nutzen, den Wärmebedarf
der Stiftung Neuerkerode zu decken. Dieser ist saisonal veränderlich, im Winter benötigt man
wesentlich mehr Wärme als im Sommer.
Was sind die Ziele der Studie?
Unser Ziel ist es, ein Konzept für ländliche Regionen zu entwickeln, das wesentlich auf der
Bioenergie und ihrer Flexibilisierung basiert. Dafür wollen wir ein Simulationsmodell nutzen und
zunächst theoretisch überlegen, welches Konzept sowohl betriebswirtschaftlich, als auch energetisch
und ökologisch Sinn ergeben würde. Schwerpunktmäßig möchten wir dabei die Bereiche Wärme, Strom und
Mobilität bedienen. Getestet wird das Konzept am Beispiel der Stiftung Neuerkerode – es soll aber
auf andere ländliche Räume übertragbar sein. Dabei ist ReBoot erstmal als Durchführbarkeitsstudie
angelegt, wir arbeiten im Moment also noch nicht praktisch, sondern analysieren hauptsächlich. Wir
hoffen, nach der Konzeptphase dann auch in die Pilotphase übergehen zu können.

Grafik eines ganzheitlichen Energieversorgungsmodells mit
Bioenergieanlage
Sie haben sich als Modellregion für Neuerkerode entschieden – ein Dorf in Niedersachsen, in dem
vorwiegend Menschen mit Behinderungen leben. Wieso eignet sich Neuerkerode besonders gut?
Neuerkerode ist ländlich gelegen und ist ein kleiner und in sich geschlossener Komplex, der eine
recht gute, bereits vorhandene energetische Infrastruktur hat. Dies ist in erster Linie eine
Nahwärme-Infrastruktur, die alle Liegenschaften des Dorfes einschließt. Momentan ist es so, dass
die Nahwärme durch eine Biogasanlage außerhalb des Dorfes betrieben wird. Die Abwärme des
Blockheizkraftwerks geht in die Nahwärme hinein. Zusätzlich gibt es im Ort ein Kesselhaus, welches
extern Wärme bezieht. An diese bereits vorhandene Infrastruktur kann man gut anknüpfen.
Die Sektoren Wärme, Strom und Mobilität hängen alle miteinander zusammen. Wie verbinden Sie
diese in der Studie?
Wärme ist bei der Stiftung Neuerkerode sicherlich der Bereich mit dem größten Bedarf. Bei Strom
denken wir insbesondere an Elektromobilität. Wir möchten versuchen, diese Bereiche mit Hilfe eines
Simulationsmodells zu verbinden, also das, was in der Praxis erst einmal voneinander unabhängig
ist, zu koppeln.
Wir wollen ein zeitabhängiges Modell aufbauen, das uns zeigt, wie viel Energie im Verlauf eines
Tages oder auch Jahres produziert werden kann und wie viel Energie im Gegensatz verbraucht wird.
Indem wir das Netz bestehend aus unterschiedlichen Energieerzeugungs- und Speichersystemen virtuell
miteinander verbinden („Smart Grid“), können wir Vorhersagen über die Energiebilanzen oder
Wirtschaftlichkeit der unterschiedlichen Konzepte treffen.
Sie hatten bereits die Elektroenergie erwähnt. Werden in der Studie auch Elektrofahrzeuge
einbezogen?
In der Stiftung Neuerkerode gibt es bereits erste Elektrofahrzeuge, es sind momentan eher
wenige, aber das könnte man sicherlich ausbauen. In dem Zusammenhang muss man auch immer über die
Ladeinfrastruktur nachdenken. Sinnvollerweise könnte man versuchen, durch die Bioenergie oder
Solarenergie die Ladesäulen zu betreiben und entsprechend auch an dieser Stelle zu flexibilisieren.
Auch hier gibt es natürlich im Tages- und Wochenverlauf Schwankungen, denn nicht zu jedem Zeitpunkt
wird gleich viel Energie benötigt.
Das Projekt ReBoot wird durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über die
Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe e.V. gefördert. Es läuft zunächst im Rahmen einer
Durchführbarkeitsstudie im Zeitraum von 10/2020 bis 04/2022. Neben der Ostfalia Hochschule sind die
Stiftung Neuerkerode und die Bioenergie Elm als Projektpartner beteiligt.
