In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Documentary Credit World (DCW) findet sich ein Beitrag von Dr. Karl Marxen, LL.M. (Stellenbosch), LL.D. (Johannesburg), der zwei umfangreiche Entscheidungen des indischen High Court of New Delhi darstellt und kommentiert.
Die gerichtliche Auseinandersetzung bezieht sich auf mehrere abstrakte Bankgarantien, die insgesamt eine Garantiesumme von etwa 50 Millionen US-Dollar umfassen. Mit diesen Bankgarantien sollte die rechtzeitige und mangelfreie Fertigstellung von Arbeiten an Einrichtungen der indischen Erdölförderung abgesichert werden. Nach Vertragsschluss kam es zu massiven Verzögerungen in der Bauausführung, die eine Partei auf einen Lockdown der indischen Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 (Coronavirus) zurückführte. Die Gegenseite argumentierte, dass die Verzögerungen in keinem Zusammenhang mit den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie standen. Als ein Abruf der abstrakten Bankgarantien drohte, wurde versucht, dieses Vorgehen im Wege des Eilrechtschutzes zu verhindern.
Der indische High Court erließ zunächst eine einstweilige Verfügung, die einen Garantieabruf vorläufig untersagte. Nach weiteren Parteivorträgen und der Vorlage umfassender Dokumente wurde die erste Eilentscheidung anschließend durch einen detaillierten, 75-seitigen Beschluss aufgehoben. Nunmehr betonte das Gericht das für abstrakte Bankgarantien charakteristische Unabhängigkeitsprinzip. Es verwarf den Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens des Begünstigten und hob die einstweilige Verfügung in weiten Teilen auf.
In seiner Entscheidungsbesprechung analysiert Dr. Marxen die Argumentation des High Court und dessen rechtliche Auseinandersetzung in Zusammenhang mit (angeblich) rechtsmissbräuchlichen Zahlungsverlangen durch Garantiebegünstigte. Durch wirtschaftliche Umbrüche in Folge der COVID-19-Pandemie dürften in nächster Zeit verstärkt Kreditsicherungsinstrumente wie Bürgschaften oder abstrakte Bankgarantien abgerufen und somit in den Fokus geraten, so dass der vorliegende Fall von größerer Bedeutung ist.
Documentary Credit World (DCW) ist eine internationale Fachzeitschrift, die sich insbesondere mit Recht und Praxis der Dokumentenakkreditive, dem Bankrecht und dem internationalen Handel und seiner Finanzierung befasst.
Fundstelle: Karl Marxen, Litigation Digest - Halliburton Offshore Services Inc. v. Vedanta Ltd., Documentary Credit World (DCW), 2020 (July-August), 14-18.