Politische Auseinandersetzungen im Wahlkampf sind grundsätzlich zu begrüßen, da durch die
Zuspitzung und gelegentlich auch Überzeichnung Positionen kontrastreich und erkennbar hervortreten.
Die Arbeitgeber stehen allerdings nicht zur Wahl oder streben das an. In der Regel ist es die
Aufgabe der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, die Positionen der Mitgliedsunternehmen so
aufzubereiten, dass sie von der Politik wahrgenommen werden. Ob die Kampagne objektiv gelungen ist,
kann dahingestellt bleiben. In medialer Hinsicht hat sie den Zweck der „Initiative Neue Soziale
Marktwirtschaft (INSM)“sowie der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie erfüllt. Ob
die Kampagne freilich clever ist, kann dagegen deutlicher beurteilt werden. Sie ist es nicht, und
zwar aus folgenden Gründen:
- Die Grünen sind eine Partei im Wahlkampf. Parteien wirken legitimerweise an der Willensbildung
des Volkes mit (Art. 21 GG) und werben zu Recht für Programm und Personal. So funktioniert die
Demokratie.
- Die Wirtschaft und ihre Fachverbände besitzen demgegenüber keinen verfassungsrechtlichen
Auftrag, an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Ihre Positionen decken sich auch nicht
zwangsläufig mit denen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein Mandat für den Wahlkampf haben
sie nicht. Auch das ist Teil der Demokratie.
- Positionen der Industrie zur Nachhaltigkeit, zum Klimaschutz und zu anderen Themen einer Green
Economy sind durchaus differenzierter z. B. beim BDI nachzulesen.
- Guter Geschmack, Witz und Humor fehlen auch sonst in der Kampagne, die zwar durch Farbgebung
(rot und grün) erklärt, wogegen sich die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie
aussprechen aber zugleich den Abstieg Moses vom Sinai, die zehn Gebote, und noch dazu eine
Staatsreligion hervorheben. Frau Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen wird mit Themen und
Zusammenhängen beladen, die den Inhalt in den Hintergrund treten lassen und die auch sonst keinen
Bezug aufweisen. Erkennbar geht es nicht um den Text (siehe allein die Schriftgröße) sondern um
Polarisierung. Die tiefe Verankerung des Alten Testaments nebst Bezügen in unseren Kulturen
erscheint hier als völlig verstörender Missgriff.
- Die Wirtschaftsverbände wären gut beraten, sich neutral zu verhalten, zumal sie weder im
Wahlkampf noch sonst Partei sind.
- Die Entscheidung über die Zusammensetzung des Deutschen Bundestags bleibt ausschließlich dem
Wähler überlassen. Der dürfte klug genug sein. Eine argumentative Hilfestellung der
Wirtschaftsverbände wird er kaum benötigen.
- Eine Spende der Wirtschaftsverbände an das Ausland zur Senkung der Pandemie hätte sicherlich
eine größere und damit bessere Wirkung entfaltet.
Quelle:
Braunschweiger Zeitung, Hannah Schmitz, vom 15.06.2021, S. 1: VW distanziert sich von Werbung
gegen Baerbock
Braunschweiger Zeitung, Hannah Schmitz, vom 15.06.2021, Wirtschaft, Experte: Industrie darf
nicht bremsen
https://www.braunschweiger-zeitung.de/wirtschaft/article232535847/VW-distanziert-sich-von-der-Anti-Baerbock-Kampagne.html