Zeitzeugen im Interview
Thomas Loepke
Dipl.-Soz.-Päd./Soz.Arb. (FH) Thomas Loepke nahm 1992 sein Studium der Sozialen Arbeit am damaligen Fachhochschulstandort Braunschweig auf. Im Jahr 2009 wurde er am Campus Salzgitter einer der ersten Lerncoaches der Ostfalia.
Ostfalia-Redaktion:
Herr Loepke, geben Sie uns bitte eine kurze Beschreibung Ihrer Tätigkeit an der
Hochschule.
Thomas Loepke:
Als Lerncoach an der Fakultät Verkehr-Sport-Tourismus-Medien, kurz
Karl-Scharfenberg-Fakultät, berate ich in Situationen, in denen das Studium selbst oder Einflüsse,
die diese Lebensphase begleiten können, die Studierenden vor – scheinbar – unlösbare Probleme
stellen. Beispiele dafür sind Krankheit, Selbstzweifel, Existenzängste oder auch familiäre
Randbedingungen.
Daneben bin ich als Personalrat auch für Belange der Kolleg*innen ansprechbar und engagiere mich dort in den Bereichen Arbeitszeit/Vertrauensarbeitszeit, Diversity, Sucht, Betriebliches Vorschlagswesen und dem Newsletter des Personalrats.
Als Sozialberater stehe ich auch Kolleg*innen als unabhängiger Ansprechpartner für persönliche Anliegen zur Verfügung.
Ostfalia-Redaktion:
Sie haben von 1992 bis 1997 selbst an der heutigen Fakultät Soziale Arbeit unserer
Hochschule studiert. Können Sie aus Ihrer Erfahrung Besonderheiten beziehungsweise besondere
Merkmale eines Studiums an der Ostfalia Hochschule benennen?
Thomas Loepke:
Ich habe am Fachbereich Sozialwesen, damals noch in Braunschweig angesiedelt,
studiert. Aus meiner Zeit sind mir vor allem das modulare System aus verschiedenen Lernbereichen
und darin eingebettet die unglaublich vielen Wahlmöglichkeiten, sowohl bei Thema, Dozent*in und
sogar der Prüfungsform, in Erinnerung. Diese Freiheit war Fluch und Segen zugleich.
Es gab einerseits die Möglichkeit, das Studium nach persönlichen Neigungen, Sympathie zu bestimmten Dozent*innen, den Anforderungen des Jobs und manchmal auch der von Kommiliton*innen behaupteten Einfachheit der Prüfung zu gestalten. Das erforderte viel Selbstorganisation, Improvisation und eigene Motivation. Zum Glück fand diese Achterbahnfahrt der eigenen Studiengestaltung in flexiblen Dozent*innen und Mitarbeiter*innen des Fachbereichs ein wohlwollendes Gegenüber, sodass ich meine Phasen des Zweifels und die Herausforderungen eines unruhigen Lebensabschnitts zulassen durfte und mir die Zeit nahm, diese zu meistern.
Ostfalia-Redaktion:
Als Lerncoach am Standort Salzgitter beraten Sie Studierende seit Jahren bei allen
Themen rund ums Studium. Welche zentralen Themen bestehen für Studierende aus Ihrer Sicht früher
wie heute?
Thomas Loepke:
Die zentralen Themen sind früher wie heute gleich. Es geht um „richtiges Lernen“ und
damit verbunden Lern- und Prüfungsstress, Studienzweifel und Motivationstiefs, Schwierigkeiten, das
Studium und Job, Familie oder Krankheit unter einen Hut zu bekommen. Weitere Themen sind Probleme
im Kontakt zu Dozent*innen oder Kommiliton*innen, gerade bei Gruppenarbeiten, Themenfindung für
Bachelor-Arbeiten und wissenschaftliches Arbeiten/Schreiben und Krisen wie Trennungen, familiäre
Ereignisse, Geldnot, Sucht und mehr.
Hinter diesen Themen steckt oft das gleiche Dilemma. Studierende müssen Entscheidungen treffen, die in ihnen Ambivalenzen hervorrufen. Zudem haben diese Entscheidungen auch unmittelbare Konsequenzen.
Da trifft oft das Bedürfnis nach Autonomie auf den Wunsch nach Sicherheit. Beispielsweise muss eine neue Lernstrategie her, aber die alte abiturerprobte Methode will nicht einfach aufgegeben werden. Oder schon die Studien- und Berufswahl war eher ein Zugeständnis an die eigene Familie als eine eigene (Fehl-)Entscheidung. Es kann auch schwer sein, den eigenen, eventuell unorthodoxen aber notwendigen Studienverlauf zu akzeptieren, wenn gefühlt der ganze „Jahrgang“ im Gleichschritt durch die Prüfungsordnung pflügt.
Da können Prokrastination – das Verschieben, Aufschieben – und Präkrastination – alles sofort – zeitgleich auftreten. Leider verschärfen sie sich dann oft gegenseitig.
Selbstzweifel, manchmal wegen nahezu nichtiger Anlässe, führen zu Entscheidungs- und Handlungsblockaden, die ein ganzes Semester oder länger andauern können und machen es so schwer, Selbstwirksamkeit und Resilienz zu erfahren.
In allen Fällen, früher wie heute, geht es um Veränderungswünsche. Allen Beratungsfällen ist eines gemein: Die Studierenden sind in einer Situation, in der bisherige eigene Lösungsstrategien die Probleme nicht gelöst, sondern sogar verschärft oder verlagert haben. Sie verwenden Lösungsansätze, die sie kennen und wenn sie nicht funktionieren, probieren sie mehr von dem, was schon mal nicht funktioniert hat.
Ostfalia-Redaktion:
Warum ist aus Ihrer Sicht das Angebot einer überfachlichen Beratung im Studienalltag
so wichtig? Was sind die Besonderheiten?
Thomas Loepke:
Diese Ambivalenzen, das neue Umfeld und neue unmittelbare persönliche Ereignisse
wirken sich auf alle Bereiche des Studierendenlebens aus. Es geht um Lernen, Geld, Krankheit,
Freundschaft, Einsamkeit, Stress, Familie, Sucht, eigene Erwartungen und auch die anderer, die
große Liebe – oft dann auch die große Enttäuschung. Die Liste ist lang und nie vollständig.
Die wichtige Rolle, die unsere überfachliche Beratung spielen kann, ergibt sich aus den Besonderheiten unserer Arbeitsweise und vor allem unserer Haltung. Das Lerncoaching ist ein Angebot, welches unabhängig vom Thema, unabhängig von der konkreten Studienleistung, immer freiwillig und völlig vertraulich existiert. Alles darf angesprochen werden. Als Lerncoaches erörtern wir zusammen mit den Studierenden alle Bereiche, die - nach Ansicht der Studierenden - eine Rolle für das Problem spielen. Wir fragen nach, welche Rolle sie spielen und wir blicken gemeinsam mit den Studierenden auf Lösungen, die abseits der bisher erprobten und eben nicht erfolgreichen Strategien liegen.
Ich biete nicht meine Lösung des Problems an. Ich bewerte weder das bisherige Handeln der einzelnen Studierenden noch bewerte ich deren gefundene Lösung. Ich nehme die Person vollkommen ernst und akzeptiere ihre Gründe für das Handeln, genauso wie die Bereitschaft bestimmte Konsequenzen zu tragen. Wer zu mir kommt und sich auf systemische Beratung einlässt, darf erwarten, dass ich versuche mit ihr oder ihm eine neue Perspektive auf ein bekanntes Problem zu schaffen. Der oder die Studierende soll danach mehr Optionen haben als zuvor, aber gleichzeitig sicherer in ihrer/seiner Entscheidung sein. Das macht die überfachliche Beratung des Lerncoachings zu etwas Ungewöhnlichem und meinen Beruf gleichzeitig so reizvoll.
Ostfalia-Redaktion:
Wie würden Sie den Standort in Salzgitter in drei Worten beschreiben?
Thomas Loepke:
Wir haben ja die Besonderheit, dass unser Standort nur eine Fakultät, dafür aber mit sehr
weit gefächertem Studienangebot ist. So fühlt es sich an wie eine kleine Hochschule innerhalb der
Hochschule. Man kennt sich und das Miteinander ist sehr kollegial. Ich empfinde den Standort
Salzgitter als freien Ort und würde ihn mit den folgenden drei Begriffen umschreiben:
INNOVATIV; VIELFÄLTIG; QUIRLIG.
Ostfalia-Redaktion:
Jedes Semester kommen neue Studierende an die Hochschule und starten in den
Studienalltag. Welche Tipps würden Sie den Erstsemesterstudierenden mit auf den Weg geben?
Thomas Loepke:
Sie haben sich entschlossen, ein Studium bei uns anzufangen. Dann betrachten Sie die
kommenden Jahre bitte nicht nur als Mittel zum Zweck, einen berufsqualifizierenden Abschluss zu
erlangen. Nehmen Sie sich die Zeit, sich zu entwickeln, Seiten an Ihnen zu ergänzen oder auch mal
sich in Teilen neu zu erfinden.
Betrachten Sie Fehler nicht als persönliches Versagen, sondern als Ansporn, Neues zu probieren.
Sehen Sie schlechte Noten oder Kritik nicht als Strafe, sondern einfach als Konsequenz Ihres Handelns und als Feedback.
Unterstellen Sie uns als Hochschule immer die Absicht, dass wir Ihnen Entwicklungsmöglichkeiten bieten möchten, obwohl wir Sie scheinbar mit Regelungen eindecken.
Lernen Sie viele Menschen kennen, übernehmen Sie von ihnen Dinge, die Ihnen gefallen und hinterfragen Sie Dinge, die Ihnen missfallen.
Ostfalia-Redaktion:
Bitte beenden Sie folgenden Satz: Die Ostfalia Hochschule ist für mich…
Thomas Loepke:
Die Ostfalia Hochschule ist für mich eine Menge Menschen, die mich auch nach 28
Jahren immer noch einladen, zu überlegen, was ich besser machen kann – und mir erlauben dies zu
probieren.
Ostfalia-Redaktion:
Was möchten Sie der Hochschule zum 50-jährigen Bestehen gerne noch sagen?
Thomas Loepke:
Ich gratuliere und sage: Auf dass es nie langweilig werde!