Zeitzeug*innen im Interview
Prof. Dr. Günter Cerbe
Prof. Dr. Günter Cerbe wurde 1959 an die Staatliche Ingenieurschule Wolfenbüttel berufen −
eine der Einrichtungen, aus denen später die Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel bzw. die
heutige Ostfalia Hochschule entstanden ist.
1972 leitete er als erster Dekan den Fachbereich Maschinenbau, 1973 als Gründungsdekan den
Fachbereich Versorgungstechnik. Als Rektor leitete er die Fachhochschule von 1976 bis
1978.
Ostfalia-Redaktion:
Anfang der 70er Jahre waren Sie als Dekan des Fachbereichs Maschinenbau sowie des
Fachbereichs Versorgungstechnik der Fachhochschule tätig. Welche inhaltlichen Schwerpunkte hatte
Ihre Lehr- und Forschungstätigkeit in dieser Zeit?
Prof. Dr. Günter Cerbe:
Meine Schwerpunkte in Lehre und Forschung waren immer die Thermodynamik und die
Gastechnik. Für diese Bereiche war ich auch als Sachverständiger bestellt. Diese Schwerpunkte
ergaben sich aus meiner Berufserfahrung. Ich hatte mich schon zu Ende meines Maschinenbaustudiums
in Aachen und Berlin verstärkt mit wärmetechnischen Fragen befasst und mein Studium mit einer
Diplomarbeit am Gas-Wärme-Institut in Essen 1955 beendet. Anschließend war ich im Ruhrgebiet im
wärmetechnischen Apparatebau tätig und später habe ich bei Krupp Industrieöfen betreut. Als
Hochschullehrer habe ich schließlich das weitergegeben, was ich vorher im Studium und in der
Berufspraxis gelernt hatte. Als Dekan und später als Rektor mussten allerdings diese Kernaufgaben
eines Hochschullehrers etwas zurücktreten. Erst Ende der 70er Jahre konnte ich wieder verstärkt
größere Forschungsvorhaben realisieren. Am liebsten gemeinsam mit der Industrie, wie zum Beispiel
der Salzgitter AG, mit Avacon, mit VW und anderen. Meine Forschungen hatten immer direkten Bezug
zur Berufspraxis und sie waren so konzipiert, dass ich die Studierenden einbinden konnte. Im
Übrigen konnte ich durch diese Tätigkeit in der Forschung und als Sachverständiger auch als
Hochschullehrer den Praxisbezug fortlaufend aufrechterhalten – wie es auch andere in ähnlicher
Weise getan haben.
Ostfalia-Redaktion:
Lehren, Forschen, aber eben auch Leitungsfunktion als Dekan und später als Rektor.
Wie haben Sie den Wechsel zwischen den verschiedenen Aufgaben erlebt?
Prof. Dr. Günter Cerbe:
Die unterschiedlichen Aufgaben haben für mich keinen Rollenwechsel dargestellt. Es
gab es verschiedene Tätigkeiten und Aufgabenbereiche, die ich parallel ausgeführt habe. Die Lehre
lief zwar immer mit, hatte in meinen Ämtern jedoch unterschiedliche Anteile. Als Dekan musste ich
nur noch die Hälfte der vorherigen Lehrverpflichtungen erfüllen und war stärker in der Verwaltung
und Leitung des Fachbereichs eingebunden. Als Rektor hatte ich nur noch kleine Lehranteile. Im neu
gegründeten System der Fachhochschulen bestanden in den Anfängen viele Herausforderungen –
rückblickend weiß ich gar nicht, wie ich diese Aufgaben parallel geschafft habe. Meine
Beschäftigungsanteile in Lehre, Forschung und Leitung der Fachhochschule waren also unterschiedlich
ausgeprägt. In jedem Fall habe ich viel Zeit und Anstrengung für die Strukturregelung des neuen
Systems der Fachhochschule aufgebracht.
Ostfalia-Redaktion:
Sie haben früh begonnen Ihre Arbeit in wissenschaftlichen Artikeln und Lehrwerken zu
publizieren. Unter anderem haben Sie gemeinsam mit Hans-Joachim Hoffmann die „Einführung in die
Wärmelehre“ veröffentlicht, die nach wie vor als Standardwerk gilt. Was macht eine gute
Grundlagenlehre für Studierende der Ingenieurwissenschaften aus Ihrer Sicht so wichtig?
Prof. Dr. Günter Cerbe:
Ihre Bemerkung zum Publizieren ist richtig. Schon meine Diplomarbeit wurde als
Forschungsbericht des Wirtschaftsministeriums von Nordrhein-Westfalen veröffentlicht. Nun zu einer
guten Grundlagenlehre: Lehre an einer Hochschule kann nur auf wissenschaftlichen Grundlagen
aufbauen. Die Zusammenhänge in einem Fachgebiet sind aber oft komplex. Das wird von vielen
Studierenden als schwierig empfunden, zum Beispiel gerade auch in der Thermodynamik. Viele fühlen
sich dann wie zugeschüttet. Diese Komplexität in überschaubaren – aber natürlich korrekten –
Teilschritten darzustellen, sie mit praktischen Beispielen zu veranschaulichen und sie dann wieder
zu einer Gesamtsicht zusammenzuführen, erleichtert den Zugang. Das ist aus meiner Erfahrung die
beste Methode für eine erfolgreiche Lehre. Und die soll ja letztlich nicht nur den Lehrenden,
sondern auch den Lernenden Spaß machen!
So kam es dann zu dem in Ihrer Frage erwähnten Lehrbuch. Das ist 1968 in der 1. Auflage erschienen. Wir haben es ständig weiterentwickelt und aktualisiert, später unter dem Titel „ Cerbe/Wilhelms: Technische Thermodynamik“, zurzeit in der 19. Auflage. 1981 folgte ein Fachbuch zur Gastechnik, das heute in der 8. Auflage unter dem Titel „Cerbe/Lendt: Grundlagen der Gastechnik“ weiterbesteht. Beide Bücher gelten als Standardwerke und werden von jüngeren Forschenden der Ostfalia erfolgreich weitergeführt.
Ostfalia-Redaktion:
Als Gründungsdekan des Fachbereichs Versorgungstechnik waren Sie maßgeblich am
inhaltlichen und strukturellen Aufbau beteiligt. Welche Herausforderungen bestanden beim Aufbau des
Fachbereichs?
Prof. Dr. Günter Cerbe:
Zunächst einige Bemerkungen zu den neu gegründeten Fachhochschulen und zur FH
Braunschweig/Wolfenbüttel: In die in Deutschland neu gegründeten Fachhochschulen wurden
verschiedene Vorgängereinrichtungen überführt. Im Falle der Fachhochschule
Braunschweig/Wolfenbüttel waren es im August 1971 drei – zwei in Braunschweig angesiedelte Höhere
Fachschulen für Sozialpädagogik und Sozialarbeit und die Staatliche Ingenieurakademie Wolfenbüttel.
Diese früheren Einrichtungen waren schulisch gegliedert. Daher mussten zunächst hochschulgerechte
Strukturen entwickelt werden. Das galt für die Verwaltung der Fachhochschule, galt aber auch für
die Lehre und vor allem für die neue Aufgabe: die Forschung.
Das wissenschaftliche Leitungspersonal der Fachhochschule wurde fortan gewählt, ich zum Beispiel zum ersten Dekan des Fachbereichs Maschinenbau. Neben den üblichen Leitungsaufgaben eines Dekans habe ich mich daher zunächst überwiegend mit dem Aufbau der neuen Strukturen beschäftigt. Es fehlten vor allem – besonders in den technischen Fachbereichen Elektrotechnik und Maschinenbau – die für eine Forschung wichtigen Laboratorien, sowohl die Gebäude als auch die Geräte. Die dafür notwendigen Mittel waren ja im normalen Landeshaushalt nicht vorgesehen. Sie mussten zusätzlich bewilligt oder anderen − z.T. auch den etablierten Universitäten − entzogen werden. Das war schon eine Herausforderung für alle. Wichtige Entscheidungen waren auch bei der Berufung neuer Professorinnen und Professoren zu treffen und beim Aufbau eines technisch-wissenschaftlichen Mittelbaus.
Nun zur Situation der Versorgungstechnik in Wolfenbüttel: Mit Gründung der Fachhochschule war die vorher selbstständige Abteilung „Gas-, Wasser-, Klima- und Heizungstechnik“ der Staatlichen Ingenieurakademie zum Studiengang im Fachbereich Maschinenbau herabgestuft worden. Als Studiengang hatte dieses damals noch neue Arbeitsgebiet aber kaum eine Entwicklungschance. Diese sahen wir nur in einem selbständigen Fachbereich. Als Dekan des Maschinenbaus fand ich innerhalb der Fachhochschule große Unterstützung und wir erreichten, vor allem auch mit Hilfe der einschlägigen Wirtschaft und der Berufsverbände, dass vom Land Niedersachsen 1973 der neue Fachbereich „ Versorgungstechnik“ eingerichtet wurde. Ich wurde zum Dekan gewählt und war damit der Gründungsdekan des neuen Fachbereichs.
Ostfalia-Redaktion:
Im Jahr 1976 wurden Sie zum dritten Rektor der Fachhochschule gewählt – was der
heutigen Funktion eines Hochschul-Präsidenten entspricht. In Ihrer Amtszeit haben Sie stets auf
eine anwendungsorientierte Lehre Wert gelegt. Warum ist der Praxisbezug an Fachhochschulen aus
Ihrer Sicht so wichtig?
Prof. Dr. Günter Cerbe:
Die überwiegende Mehrzahl der Studierenden an Fachhochschulen strebt eine interessante und
verantwortliche Tätigkeit in der Industrie, Wirtschaft, Verwaltung oder in sozialen Berufen an. Für
diese Berufsgruppen ist der Praxisbezug außerordentlich wichtig. Das schließt keineswegs eine
weitergehende, vertiefte wissenschaftliche Durchdringung der Kenntnisse aus, zum Beispiel durch ein
aufbauendes Masterstudium oder auch eine anschließende Promotion. Einige unserer Professorinnen und
Professoren sind diesen Weg gegangen.
Ostfalia-Redaktion:
In Ihrer eigenen akademischen Laufbahn haben Sie auch die Lehre und Forschung an
Universitäten erlebt. Wo sehen Sie mögliche Vorteile und Chancen der Fachhochschulen bzw. heutigen
Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Lehre und Forschung?
Prof. Dr. Günter Cerbe:
Der Unterschied zwischen Fachhochschulen und Universitäten besteht eindeutig in
einem stärkeren Anwendungsbezug. Bei Fachhochschulen ist dieser Anwendungsbezug vorgegeben und
zentrales Merkmal der Lehre und Forschung. Natürlich arbeiten heute auch Universitäten immer
stärker mit der Wirtschaft zusammen und bieten Praxisanteile. Aus meiner Sicht ist jedoch der
Praxisbezug nach wie vor ein Hauptvorteil der Hochschulen für angewandte Wissenschaften.
Ostfalia Redaktion:
Was möchten Sie der Hochschule zum 50-jährigen Bestehen gerne noch sagen?
Prof. Dr. Günter Cerbe:
Ich wünsche der Ostfalia, dass ihr die Triebkraft der ersten 50 Jahre auch in den
kommenden 50 Jahren erhalten bleibt.