Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
Fachgruppe Methoden
Call for Papers
Tagung vom 17. bis 19. September 2025
an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Salzgitter
Nachhaltige Methoden in der Kommunikationswissenschaft: Sekundäranalysen, Metaanalysen, Replikationen und Data Linkage
Einreichungsfrist: 15.06.2025
Die Kommunikations- und Medienforschung gilt als „verdatete“ Wissenschaft (Schneider & Otto, 2007) mit umfangreichen und teuren Datenerhebungen, die einen großen Fundus an aufwändig gesammelten und repräsentativen Längsschnittdaten liefern (Meulemann & Hagenah, 2011), gemessen an ihren Potenzialen aber nur spärlich für wissenschaftliche Analysen genutzt werden (Lauf, 2006; Kiefer, 1998). Zugleich begegnet die klassische Umfrageforschung zunehmend Stichprobenproblemen wie überforschten Zielgruppen und schwer zugänglichen Bevölkerungssegmenten, die die Datenqualität schmälern (DeLeeuw, Hox & Luiten, 2018). Aus der Datafizierung und den vielfältigen Perspektiven der Computational Methods ergeben sich neue Datenbestände und Forschungsmöglichkeiten (Domahidi et al., 2019). Hier stellt sich insbesondere die Herausforderung der Verknüpfung verschiedener Datenarten und -formen.
Sowohl aus Expert*innensicht als auch in der inhaltsanalytischen Untersuchung der Veröffentlichungen im Fach wird offensichtlich: Im Vergleich zu anderen Sozialwissenschaften wie der Soziologie und der Politikwissenschaft ist die Sekundäranalyse in der Kommunikationswissenschaft weniger etabliert und institutionalisiert (Lauf, 2002; Sommer, Hagenah & Strippel, 2024). Weder in den Curricula der Methodenausbildung noch in den einschlägigen Lehrbüchern zum Thema finden sekundäranalytische Vorgehensweisen Beachtung. Das erscheint jedoch nicht zuletzt deshalb wichtig, weil die Sekundäranalyse als demokratische und ökonomische Methode fair und günstig realisierbar ist und damit die Nachhaltigkeit der schnelllebigen Kommunikationsforschung erhöht.
Die Replikationskrise in der psychologischen Forschung (Wiggins & Christopherson, 2019), die Teile des Faches berührt, hat zu einem Aufschwung von Meta-Analysen und Systematic Reviews geführt. Diese haben, neben der nachhaltigen Nutzung von Daten und Forschungsergebnissen, auch einen großen Wert für die wissenschaftliche Qualitätssicherung und die Theorieentwicklung (Waldherr, 2019). Ein sich zunehmend ausdifferenzierendes Fach wie die Kommunikationswissenschaft kann davon in vielerlei Hinsicht profitieren.
Die Tagung widmet sich schwerpunktmäßig den Verfahren der Sekundäranalyse, Datenverknüpfung, Metaanalyse und der Replikation. Beiträge zum Schwerpunktthema können sich dabei beispielsweise auf die folgenden Themenbereiche beziehen:
- Sekundär- und Metaanalyse im Forschungsprozess: Wie unterscheiden sich Verfahrensweisen und Praktiken bei der Nutzung vorhandener Daten und Befunde von der klassischen Primärdatenerhebung? Welche Standards sind erforderlich?
- Sekundäranalyse und Theorien: In welchem Verhältnis stehen Theorie und Empirie bei der Nutzung vorhandener Daten? Was bedeutet das für die Forschungslogik und die Theoriearbeit?
- Replikationen und nachhaltige Forschungsergebnisse: Transparente Dokumentation des kompletten Forschungsprozesses und Bereitstellung erhobener Daten sollten Datenqualität und Ergebnissicherheit fördern und den Replikationsprozess erleichtern. Wie kann der zusätzliche Aufwand gerechtfertigt und belohnt werden?
- Datenverknüpfung: Welche Möglichkeiten und Grenzen ergeben sich aus der Kombination verschiedener Datenarten und -formen? Dabei spielt neben der „klassischen“ Kombination von Befragungsdaten und Inhaltsanalysen auch die Verknüpfung mit digitalen Verhaltensdaten eine stärker werdende Rolle. Welche statistischen Verfahren und Tools können für Prozesse der Data Linkage verwendet werden? Welche müssen neu entwickelt werden?
- Forschungsdateninfrastruktur: Welche Infrastrukturen für die Nutzung von welchen Daten hat die Kommunikations- und Medienforschung derzeit zur Verfügung? Wie lassen sich Dateninfrastrukturen schaffen und/oder optimieren, um sekundäranalytische Forschung, Datenverknüpfung und -transparenz zu verbessern?
- Good Practice, Beispielstudien, Metaanalysen: Welche prototypischen Sekundär- und Metaanalysen finden sich im Fach? Welche Felder und Kontexte sind besonders geeignet oder vielversprechend? Welche Trends ergeben sich?
- Sekundär- und Metaanalyse und Replikation als Teil der Methodenausbildung im Fach, Integration in die Lehrbücher und Curricula.
- Open Science: Neben der Bereitstellung von traditionellen Befragungsdaten und Inhaltsanalysen rückt eine zentrale Erhebung und Bereitstellung von Dateninhaltskorpora, Trackingdaten oder Datenspenden in den Mittelpunkt. Wie können derartige zentrale und für alle zugängliche Infrastuktureinrichtungen aufgebaut und incentiviert werden?
- Qualitätssicherung und Ethik: Welche Potenziale und ethischen Herausforderungen stellen sich bei der Nachnutzung vorhandener Daten und der Replikation von Befunden, z.B. in Bezug auf Transparenz, Datenschutz und Anonymität und den wissenschaftlichen Wettbewerb?
Format der Beiträge
Es sind sowohl konzeptionelle Beiträge als auch empirische und methodologische Beiträge willkommen. Einreichungen zum Tagungsthema können sich mit den genannten Themenbereichen auseinandersetzen, sind jedoch nicht auf diese beschränkt.
Offenes Panel
Neben Beiträgen zu Sekundäranalysen, Metaanalysen, Data Linkage und Replikationsstudien bietet die Tagung in einem oder mehreren offenen Panels Platz für die Diskussion von Beiträgen jenseits des Tagungsthemas. Hier eingereichte Vorschläge sollen sich durch ihre methodische oder methodologische Relevanz auszeichnen. Bitte vermerken Sie auf Ihrer Einreichung, dass es sich um einen Beitrag für ein offenes Panel handelt. Es gelten die gleichen formalen Kriterien für Einreichung und Bewertung wie für Vorträge innerhalb des Tagungsthemas.
Interaktive Formate
Ferner sind Einreichungen für interaktive Formate abseits der klassischen Tagungsvorträge möglich. Vorgesehen sind dafür einstündige Zeitslots, für die Vorschläge inklusive einer Beschreibung des genauen Themas, der beteiligten Personen und des groben Formats/Ablaufs eingereicht werden können. Berücksichtigt werden sowohl diskursive (z.B. Thesencafé) als auch praktische Formate (z. B. Workshop). Ziel der interaktiven Formate soll es sein, das Tagungsthema auf anderer Ebene zu erweitern oder zu vertiefen. Über die Annahme entscheiden die Veranstalter:innen in Absprache mit den Sprecher:innen unter Berücksichtigung des gesamten Programms.
Einreichung
Einreichungen für alle Formate sind als Extended Abstract (800 bis max. 1.200 Wörter inkl. Literatur sowie Abbildungen/Tabellen und Titelseite) via ConfTool einzureichen. Einreichungen und Präsentationen sind in Deutsch oder Englisch möglich, die generelle Tagungssprache ist Deutsch.
Deadline für Einreichungen ist der 15.06.2025
Der Beitrag darf in dieser Form nicht bereits in einer Verlagspublikation veröffentlicht oder auf einer wissenschaftlichen deutschsprachigen Tagung präsentiert worden sein. Allerdings sind Beiträge möglich, die einen methodischen Aspekt aus einer bereits publizierten oder präsentierten Studie herausgreifen, wenn dieser Aspekt nicht Hauptgegenstand der Publikation oder Präsentation war.
Bei der Einreichung muss jeder Beitrag einer der folgenden Kategorien zugeordnet werden:
- Vorstellung neuer Erhebungs- und Auswertungsverfahren: Der Beitrag dient vorrangig der Information über (für die Kommunikationswissenschaft) neue Erhebungs- und Auswertungsverfahren und neu entwickelte Tools, die für empirisch Forschende hilfreich sein können (sog. „Es gibt/Es sollte geben“-Beiträge). Vorgestellte Verfahren werden nicht systematisch in ihrer Güte analysiert. Der Beitrag zielt außerdem nicht auf die Lösung eines konkreten Problems ab, sondern ihm kommt vorrangig ein Inspirations- und Weiterbildungscharakter zu.
- Lösung eines konkreten Problems mit Hilfe neuer Erhebungs- oder Auswertungsverfahrens: „Es gibt“ -Beitrag mit kommunikationswissenschaftlichem Problem. Der Beitrag präsentiert also einen diskutierbaren Vorschlag sowie Felder und Problemstellungen der Kommunikationswissenschaft, für die das neue Erhebungs- oder Auswertungsverfahren geeignet ist, sodass nicht lediglich ein kleines Beispiel ohne weitere Abstraktion präsentiert wird.
- Originäre Methodenforschung: Der Beitrag präsentiert und untersucht ein Erhebungs- oder Auswertungsverfahren systematisch hinsichtlich methodischer Eigenheiten, Stärken und Schwächen. Insbesondere sind hier auch vergleichende Methodenstudien willkommen. Die kommunikationswissenschaftliche Bedeutung und Anwendungsfelder müssen explizit thematisiert werden.
- State-of-the-Art-Vorträge: Der Beitrag gibt einen Überblick über zentrale Bereiche der kommunikationswissenschaftlichen Methodenforschung. Aus einer meta-analytischen Perspektive beleuchtet er Ansätze, Forschungsdesiderate und Bedarfe.
Begutachtung und Auswahl
Im Rahmen der Fachgruppentagung wird ein konstruktives Feedback-Verfahren das traditionelle Review-Verfahren ersetzen. Dabei werden eingereichte Beiträge zwar anonymisiert nach den üblichen Kriterien begutachtet; Gutachtende sind aber angehalten, primär konstruktive Vorschläge für die Verbesserung der Beiträge zu unterbreiten. Die Reviews dienen vorrangig den Einreichenden als Feedback sowie der Tagungsleitung zur Orientierung. Die Tagungsleitung behält sich vor, auch die Gesamtkonzeption der Tagung bei der Auswahl der Beiträge zu berücksichtigen. Bei Einhalten aller formalen Vorgaben und unter Berücksichtigung räumlicher und zeitlicher Kapazitäten ist das Ziel, möglichst viele der eingereichten Beiträge anzunehmen.
Die Kriterien für die konstruktive Begutachtung eingereichter Beiträge sind:
- Relevanz für die Fachgruppe: Stellt die Einreichung einen eigenständigen substanziellen methodischen oder methodologischen Beitrag zur Kommunikations- und Medienforschung dar?
- Prägnanz der Darstellung: Ist die Einreichung gut strukturiert und verständlich formuliert? Enthält die Einreichung alle zur Begutachtung notwendigen Informationen, z. B. zur Stichprobe, Reliabilität und Validität? Werden bei empirischen Studien konkrete Ergebnisse präsentiert?
- Inhaltliche Stringenz: Bei empirischen Beiträgen: Sind Konzeption und Durchführung der vorgestellten Studie theoretisch und methodisch angemessen und entsprechen dem aktuellen State-of-the-Art? Bei nicht-empirischen Beiträgen: Ist die relevante Literatur auf dem Gebiet adäquat berücksichtigt? Werden explizit Anwendungsbezüge zur Kommunikations- und Medienforschung hergestellt?
- Bezug zum Tagungsthema (nicht im offenen Panel): Nimmt die Einreichung explizit Bezug auf das Tagungsthema, ggf. konkret auf einen Punkt im Call for Papers? Wird der Bezug plausibel hergestellt?
Als Tagungspublikation ist ein Special Issue der Publizistik – Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung vorgesehen. Der Call for Papers wird in der ersten Jahreshälfte 2025 veröffentlicht.
Paul-Lazarsfeld-Stipendien
Über die Paul-Lazarsfeld-Stipendien wird in einer separaten Ausschreibung informiert.
Mittelbau-Workshop
Über den Mittelbau-Workshop im Vorfeld der Tagung wird in einer separaten Ausschreibung informiert.
Kontakt:
j.hagenah@ostfalia.de / Dr. Jörg Hagenah
Institut für Medienmanagement, Ostfalia Hochschule
de.sommer@ostfalia.de / Prof. Dr. Denise Sommer
Institut für Öffentliche Kommunikation, Ostfalia Hochschule
Literatur
De Leeuw E., Hox J. & Luiten A. (2018). International Nonresponse Trends across Countries and Years: An analysis of 36 years of Labour Force Survey data. Survey Insights: Methods from the Field. Retrieved from https://surveyinsights.org/?p=10452.
Domahidi, E., Yang, J., Niemann-Lenz, J., & Reinecke, L. (2019). Outlining the Way Ahead in Computational Communication Science: An Introduction to the IJoC Special Section on" Computational Methods for Communication Science: Toward a Strategic Roadmap". International Journal of Communication, 13. https://ijoc.org/index.php/ijoc/article/viewFile/10533/2761
Kiefer, M. L. (1998). Ein Unikat in der Rezeptionsforschung – Langzeitstudie Massenkommunikation zur Medien-nutzung und Medienbewertung. In Klingler, W. & Roters, G. & Zöllner, O. (Hrsg.), Fernsehforschung in Deutschland (S. 17–29). Baden-Baden: Nomos.
Lauf, E. (2002). Freiheit für die Daten! Sekundäranalysen und Datenbestände in der deutschen Me-dien- und Kommunikationswissenschaft. M&K, 50, 247–260.
Lauf, E., (2006). Tageszeitungsnutzung in der Media-Analyse, der Allensbacher Werbeträger Analyse und in der Langzeitstudie Massenkommunikation. In: Hagenah, J. & Meulemann, H., 2006. Sozialer Wandel und Mediennutzung in der Bundesrepublik Deutschland: Nutzung der Daten der Media-Analyse von 1972 bis 2000 für Sekundäranalysen. S. 57–70. Münster: LIT Verlag.
Meulemann, H., & Hagenah, J. (2011). Mass Media Research. In RatSWD (Hrsg.), Building on Progress: Expanding the Research Infrastructure for the Social, Economic and Behavioral Sciences (S. 1173–1196). Budrich.
Schneider, I. & Otto, I. (2007, Hrsg). Strategien der Verdatung. Formationen der Mediennutzung II. transcript.
Sommer, D., Hagenah, J. & Strippel, C. (2024). Sekundäranalysen & Data Sharing in der Kommunikationsforschung: „Second best“ oder Zukunftsmodell? Workshop auf der 69. DGPuK-Jahrestagung „Visionen für ein besseres Leben“, 14.-16.03.2024 in Erfurt.
Strippel, C. (2021). Forschungsinfrastrukturen für die Kommunikations- und Medienforschung im deutschsprachigen Raum. Medien & Kommunikationswissenschaft, 50, 136–157.
Waldherr, A. (2019). Messinstrumente und Sinnkonstruktionen. Methoden als Antreiber und Taktgeber der Kommunikationswissenschaft. medien & zeit, 34, 40–47.
Wiggins, B. J., & Christopherson, C. D. (2019). The replication crisis in psychology: An overview for theoretical and philosophical psychology. Journal of Theoretical and Philosophical Psychology, 39(4), 202–217. https://doi.org/10.1037/teo0000137