Nachrichtenwerte in der Unternehmenskommunikation
Zielsetzungen des Projektes - Erkenntnisgewinn
Was ist erfolgreiche Public-Relations-Arbeit? Eine hinreichende Erfolgsdefinition ist notwendigerweise komplex, denn eine Erfolgsmessung ist immer abhängig von der Zielsetzung der PR-Arbeit. Notwendig für den Erfolg von PR ist aber – unabhängig vom konkreten Ziel – die Erreichung der Stakeholder, also der Adressaten der veröffentlichten Informationen. Dabei handelt es sich fast immer um eine breite, disperse Öffentlichkeit. Es ist schon heute möglich, einen Teil dieser „Zielgruppe“ direkt zu erreichen. Als Beispiel sei hier der Weg über Social-Media-Plattformen genannt. Aber längst nicht alle Stakeholder lassen sich darüber erreichen. Ein Großteil muss nach wie vor über klassische Medien erreicht werden.
Die Antwort auf die Eingangsfrage reduziert sich daher aktuell auf die folgenden Theoreme: Erfolgreich sind Public-Relations, wenn die gewünschte Zielgruppe erreicht wird. Die Zielgruppe wird über die klassischen Massenmedien erreicht. Dort arbeiten Journalisten, die ein relativ festes Set an Arbeitsroutinen entwickelt haben. Wer erfolgreiche Public-Relations betreiben möchte, muss also die Arbeitsroutinen der Journalisten kennen. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit journalistischen Handlungsmustern hat sich das Konzept der Nachrichtenwerte durchgesetzt. Sie setzen sich zusammen aus verschiedensten Faktoren, die eine Information erst zur Nachricht werden lassen, z.B. Reichweite, Deutsche Beteiligung oder Prominenz.
Für die Unternehmenskommunikation ist von Interesse, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass strategische Themen von Journalisten aufgegriffen und veröffentlicht werden. Über dieses Wissen bereits in der Phase der Kommunikationsplanung zu verfügen ist ein real-ökonomischer Wettbewerbsvorteil für Unternehmen, da verfügbare Ressourcen so auf die erfolgversprechendsten Inhalte verteilt werden können. In einem ersten Forschungsschritt sollen daher die verschiedenen Ansätze der Nachrichtenwerttheorie rezipiert und hinsichtlich des Forschungsgegenstands kritisch geprüft werden. Es gilt, Thematisierungskonzepte der Public Relations mit den Prozessen der Themenselektion von Journalisten zu verknüpfen, um nachfolgend ein Messinstrument zu entwickeln, welches die „Nachrichtenfaktoren“ eines Themas auflistet und gewichtet.
Für eine Diskussion des Konzeptes im Bereich Bewegtbild ist vor allen Dingen die Mainzer Studie von Ruhrmann und Göbbel zu Nachrichtenwerten im Fernsehen von hohem Interesse. Hier wurden systematisch bewegtbildbezogene Faktoren ermittelt und einzeln analysiert. Die Forschungsergebnisse können fraglos auch für die Praxis – gerade für die Praxis der Unternehmenskommunikation – fruchtbar gemacht werden.
Im Anschluss an eine Themenbewertung soll es Public-Relations-Verantwortlichen ermöglicht werden, zunehmend transparente, nachvollziehbare und zielorientierte Entscheidungen über den Einsatz von Bewegtbild in der Unternehmenskommunikation treffen zu können. Es werden argumentative Grundgerüste bereitgestellt zu entscheiden, wann, in welchem Umfang und für welche Themen es sich lohnt Bewegtbild zu produzieren, wann eher eine Pressemitteilung, wann ein Hintergrundgespräch etc. zum Thema passt. Für die Bewertung des Einsatzes technischer Darstellungsformen in der PR-Arbeit (wie beispielsweise Text, Bilder, Video oder Multimedia-Kombinationen), bieten sich unter Anwendung der Nachrichtenwerttheorie insbesondere zwei viel versprechende Möglichkeiten:
1.) Durch die Auswahl einer bestimmten Darstellungsform können Nachrichtenfaktoren besonders betont oder sogar erst erzeugt werden. So entspricht ein zu regelmäßigen Zeitpunkten veröffentlichter V-Cast eher dem Faktor Frequenz, als (unregelmäßig ausgesandte) schriftliche Pressemitteilungen. Auch kann der Schwellenfaktor angehoben werden. Dies ist durch die stärkere Emotionalität, Authentizität und damit Aussagekraft des Bewegtbildes (gegenüber der Verwendung von Text) möglich.
2.) Die Bewertung der verwendeten Nachrichtenfaktoren erlaubt, bereits vorab das „journalistische Potential“ einer Maßnahme zu bestimmen. Damit kann die Wahrscheinlichkeit einer Veröffentlichung in den Massenmedien eingeschätzt und auf diese Weise auch beurteilt werden, ob es sich lohnt, in aufwändigere technische Darstellungsformen zu investieren. Bekanntermaßen liegen Bewegtbild-Budgets deutlich über jenen, die die Umsetzung anderer technischer Darstellungsformen benötigt. Gleichzeitig lässt sich die Entscheidung fundieren, welche Aufwandskategorie für eine Themenstellung gewählt wird.
Eine weitere Erweiterung des Entscheidungsraums ist hinsichtlich der Kommunikationssituation (Normal- oder Krisenzeiten) denkbar. Dies knüpft an die Situations- und Zeitabhängigkeit von Nachrichtenfaktoren. Sowohl für die Themenbewertung, für die Auswahl der Darstellungsform und die Kommunikationssituation soll eine Entscheidungsmatrix entwickelt werden, welche intersubjektiv alle für die Unternehmenskommunikation relevanten Nachrichtenfaktoren enthält und spezifisch gewichtet.
Mit diesem Projekt wird auch aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht Neuland beschritten, es erlaubt eine durchaus international zu betrachtende Positionierung im Bereich der Organisationskommunikation.
Stand des Wissens
Zu den festen Arbeitsroutinen eines jeden Journalisten gehören die sogenannten Nachrichtenwerte. Die Anfänge der Nachrichtenwerttheorie gehen auf das Jahr 1922 zurück. Walter Lippmann formulierte damals als erster das Konzept des „news value“. Kern der Theorie ist, dass Ereignisse bestimmte genau zu klassifizierende Eigenschaften haben, die sich darauf auswirken, ob Journalisten das jeweilige Ereignis zur Veröffentlichung in den Massenmedien auswählen. Diese Eigenschaften bestimmen den Nachrichtenwert, also die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis Eingang in die Berichterstattung findet. Dabei ist es sowohl entscheidend, wieviele der Nachrichtenwerte zutreffen (Additionshypothese), als auch wie stark die einzelnen Faktoren ausgeprägt sind, so kann ein besonders stark ausgeprägter Faktor das Fehlen eines anderen kompensieren (Komplementaritätshypothese). Die beiden genannten Hypothesen wurden von den norwegischen Friedensforschern Galtung und Ruge 1965 entwickelt. Die beiden Forscher unterscheiden insgesamt 12 Nachrichtenfaktoren: Frequenz, Schwellenfaktor, Eindeutigkeit, Bedeutsamkeit, Konsonanz, Überraschung, Kontinuität, Variation, Bezug zu Elite-Nationen, Bezug zu Elite-Personen, Personalisierung und Negativität. Dabei verstehen Galtung und Ruge die letzten vier Faktoren als kulturabhängig, also je nach Kulturkreis unterschiedlich, während die anderen in allen Kulturkreisen gültig sind. Dieser klassische Ansatz hat in den folgenden Jahren und Jahrzehnten interessante Erweiterungen erfahren, so wurden die Zahl der Faktoren und ihre Bedeutung auf verschiedene Weise geordnet und eingeschätzt. Zahlreiche Publikationen stützen sich dabei auf empirische Erkenntnisse.