Ich hatte einen Auslandsaufenthalt schon seit einiger Zeit in der Planung. Aufgrund Corona und den damit erschwerten Studienbedingungen ist das Ganze aber ein bisschen in den Hintergrund gerückt. Als eine E-Mail am Anfang des Jahres 2022 in meinem Postfach landetet, wurde die Idee wieder erweckt: „ 1,5 Wochen Bewerbungsfrist für Stipendium in Tampere, Finnland“. Ich dachte mir: „ Wenn nicht jetzt, wann dann?!“. Zu meinem Glück kam ein paar Wochen später die Zusage und die Vorbereitung begann.
Mein größter Beweggrund für ein Auslandssemester war meine Englischkenntnisse aufzufrischen und
zu verbessern. Ich bin durch einen 4-jährigen Auslandsaufenthalt zu Beginn meines Lebens
zweisprachig aufgewachsen, aber dennoch mangelte es am wissenschaftlichen Englisch. Zusätzlich
wollte ich andere Ansichtsweisen verschiedener Kulturen, gerade im Aspekt auf die Umwelt
kennenlernen.
Bei der Wahl des Studienortes war mir von Beginn an klar: „Ich will in eins der nordischen
Länder“. Diese haben durch ihre Menge an unberührter Natur eine große Anziehung auf mich.
Ursprünglich hatte ich Norwegen im Blick, allerdings gefiel mir die Aufmachung der
Partneruniversität TAMK in Tampere, Finnland besser. Und so entschied ich mich für Tampere.
Durch verschiedene Umstände war mein Beginn des Auslandssemesters ein bisschen chaotischer als
bei anderen Studierenden gewesen. Zwar hatte ich einen Hin- und Rückflug gebucht, aber eine Wohnung
oder eine offizielle Zusage der Fachhochschule in Tampere hatte ich vor der Anreise noch nicht.
Mein Plan war anfangs eine WG mit Finnen zu finden. Das stellte sich aber als eine nicht so gute
Idee heraus, da alles andere als eine Art Studentenwohnheim deutlich teurer und schwieriger zu
bekommen ist.
Ich, naiv wie ich zu dem Zeitpunkt nun mal war, entschied mich erst ein paar Wochen vorher
auf die Zimmer in den Studentenwohnheimen zu bewerben und stieg in den Flieger ohne die Sicherheit
einer Unterkunft. Wie sich dann in der ersten Nacht in Helsinki herausstellte, wurde ich während
des Fluges an der TAMK angenommen und hatte ein Wohnungsangebot bekommen. Ich fand im Nachhinein in
Gesprächen mit anderen „Exchange Students“ heraus, dass dies ein ziemlich gutes Angebot war.
Auch meine vorbereitete Studienplanung musste ich vor Ort optimieren. Einige Studienfächer
wurden nicht angeboten oder nur als online Vorlesung. Dies kam mir allerdings zu Gunsten. Ich hatte
dadurch die Möglichkeit Fächer auszuwählen, die in meinem Studiengang nicht angeboten werden, mich
aber trotzdem brennend interessieren. Dadurch, dass ich schon vor Ort war, hatte ich zusätzlich die
Chance zusehen, was andere „Exchange Students“ gewählt haben. Am Ende hatte ich nach zwei
geänderten Learning Agreements einen Plan für ein ambitioniertes Semester von 34 credits.
Das Studium selbst war in verschiedenen Hinsichten unterschiedlich zu dem, was ich aus
Deutschland kenne. Es gab zumeist im Laufe des Semesters „Assignments“, so eine Art Hausaufgaben,
die benotet wurden und ein Teil der Endnote ausmachten. Auch die Laborprotokolle, die im Laufe des
Semesters erstellt wurden, wurden benotet und gingen in die Endnote mit ein. Dies hat mir das
Gefühl gegeben, dass egal wo ich meine Arbeit reingesteckt habe, es in der Endnote zum Vorschein
kam. Die Klausuren wurden in der Vorlesungszeit geschrieben, zumeist am letzten Vorlesungstermin.
Allerdings stehen die Termine nicht in Stein gemeißelt und es kann je nach Studiengruppe in
Besprechung mit Professor/innen ein besserer Termin gewählt werden.
Was mir schnell auffiel, ist die unterschiedliche Adressierung zwischen Studierenden und
Professor/-innen. In Finnland werden die Professor/-innen grundsätzlich mit Vornamen angesprochen
und bei dringenden Angelegenheiten lieber angerufen als angeschrieben.
Ich hatte mir vor dem Auslandsaufenthalt schon einen Sportverein rausgesucht, in dem ich meinen
Sport Baseball weiter ausführen konnte. Das wollte ich vor allen Dingen machen, um Leute außerhalb
der Uni kennenzulernen.
Gerade am Anfang hatte mir das geholfen einen ersten Eindruck von Finnland durch Einheimische
zu bekommen. Traurigerweise ist die Baseballsaison im Winter zu Ende und damit auch das Training
nach den ersten zwei Monaten.
Das Studentenleben wird um einiges mehr ausgelebt, als ich es aus Deutschland kenne. Es gibt
für jede Studienrichtung einen eigenen Overall. Für jedes Studentenevent gibt es zusätzlich Patches
und im Laufe des Studiums erweitert sich der Overall durch das eigene Aufnähen der Patches. Auch
für uns „Exchange Students“ gab es einen Eigenen (s. Foto). Das war praktisch, weil man anhand der
Patches immer ein Gesprächsthema gefunden hat, falls man keins auf Lager hatte. Zusätzlich besitzt
man als „Exchange Student“ am Ende ein Stück Kultur als Erinnerung für die Heimat. Außerdem gab es
fast jede Woche Events. Und hierbei ging es nicht nur um Partys, sondern auch um Spiele wie
Biercrocket, ArcheryTag bis hin zu ganzen Kreuz- oder Skifahrten. Diese wurden von verschiedenen
Studentengruppen selbst organisiert. So hatte man die Möglichkeit immer was zu erleben,
vorausgesetzt man kümmert sich schnell genug darum, denn manche Events sind schnell ausgebucht. Da
die Finnen, laut Studierenden, gerne in der Schlange stehen und feiern, kommt es bei den großen
Events vor, dass sie sich jedes Jahr schon am Tag vor Verkauf in die Schlange stellen, um die
Tickets zu bekommen. Ich kam am nächsten Tag in die Hochschule und konnte eine Schlange aus Zelten
beobachten. Aber dies gilt nicht für alle Events. Gerade zu Beginn wurden auch einige Picknicks
organisiert, wo jeder kommen und man etliche Student/-innen kennen lernen konnte.
Zusätzlich wurde jedem Studierendem ein Tutor/eine Tutorin bereitgestellt, der/die einem bei
Fragen zur Seite stand und einem Tampere vorgestellt hat. Die Tutorin, die mich mit aufgenommen
hatte, hat uns zusätzlich auf viele Events mitgenommen und ich habe das Glück gehabt einige Fächer
mit ihr belegt zu haben. Über die Zeit entwickelte sich daraus eine Freundschaft.
Zusätzlich gab es eine WhatsApp Gruppe in der alle „Exchange Students“ nach und nach
hinzugefügt worden sind. Dadurch wurden gerade zu Beginn einige Treffen organisiert, wo häufig
unterschiedliche Personen aufgetaucht sind und man Leute aus aller Welt kennen gelernt hat.
Ich habe in der Zeit in Tampere vieles über mich gelernt. Ich bin gerade zu Beginn häufiger aus
meiner Komfortzone hinausgegangen und einfach zu Events gegangen, wo ich kaum bis gar keinen
kannte. Dadurch sind Situationen entstanden, die man nicht hätte planen können. Bei einem Picknick
haben wir beispielsweise kurz vor Beginn eines Konzertes kostenlose Tickets, durch einen Ausfall
einer Gruppe, geschenkt bekommen. Dann sitzen wir auf einmal in einem Konzertsaal. Alles auf
finnisch und es wird „St. Pauli ja Reeperbahn“ (ja = und) gesungen. Das war schon ein einmaliges
Erlebnis.
Ein anderes Mal haben „Exchange Students“ deren Feiertage in Tampere gefeiert und im größeren
Stil organisieret. So haben mehrere Student/-innen die Möglichkeit bekommen erste Eindrücke des
mexikanischen „Día de los Muertos“ (Tag der Toten) zu erleben. So habe ich nicht nur durch die
Veranstaltungen aus der Universität, die finnische Kultur kennen gelernt, sondern auch einen
kleinen Einblick in andere Kulturen der Studierenden.
Auch der Einblick in die finnische Sprache hat Spaß gemacht. Ich hatte vor Einreise
angefangen mithilfe von Duolingo die ersten Eindrücke der Sprache zu bekommen. In Finnland
angekommen, merkte ich, dass ich trotzdem keinen blassen Schimmer von der Sprache hatte. Wegen des
Finno-ugrischen Ursprungs unterscheidet sich diese Sprache sehr von der deutschen oder englischen.
Mithilfe von Google Lens konnte man allerdings die größten Unklarheiten während des
Auslandssemesters klären. Aber es war schön zu sehen, wie man nach und nach in den Supermärkten
anfing zu verstehen, was auf den Artikeln stand und man sich mit dem Verkäufer grundlegend auf
finnisch verständigen konnte.
Um die finnische Natur zu entdecken, bin ich auf von der Uni organisierte Wanderungen
gegangen und bin mit anderen Studierenden nach Lapplandgefahren, wo wir das Glück hatten, die
Nordlichter zu sehen. Zusätzlich hatte ich mir zu Beginn ein Fahrrad gekauft. Damit bin ich die
meiste Zeit durch die Gegend gefahren und habe mir so das Nahverkehrsticket gespart und
gleichzeitig viel von der Stadt gesehen. Somit hatte ich aber auch die Möglichkeit, den Wald bei
mir um die Ecke großflächiger zu erkunden. Aber auch zu Fuß und über Kanutouren haben wir die
Landschaft erkundet. Man konnte dort Blaubeeren pflücken und mit Pilzkennern sogar nach Pilzen
suchen.
Gerade, wenn man offen für Spontanität ist, gibt es in einem Auslandssemester so einiges zu
entdecken. Ich würde jedem weiterempfehlen so etwas mindestens einmal in seinem Leben
auszuprobieren. Es ist zwar mit einiger Planung und auch unglücklichen Situationen verbunden, aber
man sammelt Erfahrung.
Außerdem würde ich allen raten, auch Aktivitäten außerhalb des Studiums zu suchen, wie zum
Beispiel einen Teamsport. Dadurch kriegt man einen Einblick außerhalb der „Studentenbubble“.
Was ich gerade im Hinblick auf den Umweltaspekt gelernt habe, ist, dass alles
aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann. In Finnland ist die nachhaltige
Forstwirtschaft ein wichtiger Bestandteil der Ökonomie und es wird immer mehr auf grünen Strom
gesetzt. Was ich vorher nicht bedacht hatte, war, dass zur Stromgewinnung mithilfe von Biomasse es
auch die Holzverbrennung gilt. Aufgrund meines Studiums hatte ich immer zuerst an die
Biogasgewinnung durch Biomasse aus Abfällen der Agrarwirtschaft gedacht. Ob man Holzverbrennung als
grünen Strom ansehen kann und ob es CO2-neutral ist, ist ein schwer diskutiertes Thema.
Insgesamt würde ich Tampere auf jeden Fall weiterempfehlen. Vor allen Dingen, wenn man keine
Angst vor Kälte und Bock auf Studentenleben hat. Dadurch, dass es jedes Jahr viele „Exchange
Students“ nach Tampere treibt, wird man dort mit ein bisschen Offenheit und eventuell
Unbehaglichkeit auch nicht allein sein.
Text: M. Kockmann
Foto: M. Kockmann, O. Halden