Ohne Kunststoffe wäre ein modernes Auto undenkbar. Die Professoren Martin Müller und Achim
Schmiemann, beide aus der Fakultät Fahrzeugtechnik, bilden deswegen ein gutes Gespann. Im Interview
sprechen sie über das Forschungsfeld Fahrzeugbau, Kunststoffe und Materialwissenschaften und ihre
Zusammenarbeit. Und sie erklären, wie die Industrie von ihrer Forschung profitiert.
Herr Professor Müller, Herr Professor Schmiemann, womit beschäftigen Sie sich im Forschungsfeld
Fahrzeugbau, Kunststoffe und Materialwissenschaften?
Martin Müller: Zu einem großen Teil mit den aktuellen Fragestellungen der Automobilindustrie.
Wie können wir die Ressourceneffizienz steigern? Wie Energieverbrauch und CO2-Emissionen senken?
Und wie die Simulation nutzen, um die Fahrzeugkonstruktion noch besser zu unterstützen? Wichtige
Themen sind Leichtbau, Aerodynamik, Antriebstechnik und auch die Fahrzeugsicherheit. In Zukunft
werden wir uns mehr oder weniger frei im Fahrzeug bewegen können, was ganz neue Anforderungen an
die Rückhaltesysteme zum Insassenschutz stellt. Durch das autonome Fahren und die Digitalisierung
gerät vieles in Bewegung – dementsprechend viel gibt es zu tun.
Achim Schmiemann: Ich komme aus den Materialwissenschaften und beschäftige mich mit dem Thema
Nachhaltigkeit, insbesondere mit dem Recycling von Kunststoffen. Weil die Bauteile für die
Fahrzeuge immer nachhaltiger werden müssen, ist unsere Forschung sehr wichtig. Sie betrifft nicht
nur das Auto, sondern reicht viel weiter. Auch mit der Verschmutzung von Flüssen und Meeren mit
Kunststoffpartikeln befassen wir uns. Wir haben eine sehr gute Analytik, um Proben zu untersuchen
und festzustellen, woher die Verschmutzung stammt.
Wie kann man sich die Zusammenarbeit zwischen Ihren Teams vorstellen?
Achim Schmiemann: Es gibt viele Berührungspunkte. Gerade haben wir einen Antrag eingereicht, um
an leichten Dachkonstruktionen aus Kunststoff zu forschen. Die Unternehmen haben daran ein großes
Interesse. Dass sie sich mit nicht unerheblichen Summen beteiligen, zeigt das Potenzial der
Zusammenarbeit. Von unserer Forschung versprechen sich die Unternehmen einen wirtschaftlichen
Vorteil.
Martin Müller: Der Leichtbau ist für uns ein grundsätzliches Forschungsthema. Mit der richtigen
Kombination von Kunststoffen, von Metallen und mit hybriden Strukturen können wir viel erreichen.
Auch die Batterieforschung, für die die Steigerung der Energiedichte ein wesentlicher Faktor ist,
spielt eine große Rolle bei uns. Darüber hinaus gibt es unheimlich viele kleine Fragestellungen, an
denen wir dran sind.
In der Automobilindustrie macht der hybride Leichtbau vieles möglich. Woran arbeiten Sie?
Achim Schmiemann: In Zukunft werden wir im Fahrzeugbau Strukturen mit Carbonfasern anreichern
können, um eine hohe Festigkeit zu erzielen. Wir untersuchen, wie wir aus diesen leichten
Strukturen am Ende ihres Lebenszyklus die Kohlenstofffasern herausbekommen und was wir mit ihnen in
ihrem zweiten Leben machen können.
Martin Müller: Schon einige Schritte vorher geht es darum, wie wir die Materialien am besten
miteinander verbinden können. Unsere Aufgabe ist, die hybriden Strukturen simulationstechnisch zu
beschreiben – etwa die optimale Geometrie der Strukturen, den Fasergehalt und die Ausrichtung der
Fasern.
Welche Mittel stehen Ihnen zur Verfügung, um an neuen Fahrzeugkonzepten zu forschen?
Martin Müller: Da gibt es eine Menge. In unserem Windkanal können wir Widerstand und Auftrieb
des Fahrzeugs messen – mit dem Ziel, den Verbrauch zu senken und die Fahrdynamik zu verbessern.
Auch für die Lehre setzen wir unseren Windkanal ein. Durch ihn bekommen unsere Studierenden ein
besseres Verständnis dafür, welche Parameter das Fahrzeug beeinflussen.
Was steht Ihnen noch zur Verfügung?
Martin Müller: Wir haben einen Fallturm, um Crashs zu simulieren. Einfach erklärt: Unten liegt
ein Bauteil und von oben kommt eine Masse geflogen, die bis zu 500 Kilogramm schwer ist. Wir können
die Deformation messen und so herausfinden, wie groß die Verletzungsgefahr im Innenraum ist. Auch
die optische Messtechnik bietet uns viele Möglichkeiten, um thermische oder mechanische Belastungen
beschreiben zu können.
Wovon profitieren Sie in Ihrem Forschungsfeld?
Martin Müller: Die Anwendungsnähe macht uns stark. Wir forschen nicht, um unsere Ergebnisse in
die Schublade zu stecken, sondern damit sie in Serie umgesetzt werden. Dieser Anspruch spiegelt
sich in der Lehre wider. Wenn unsere Absolventen in die Industrie gehen, haben sie ein
ausgezeichnetes Verständnis dafür, was in der Fahrzeugentwicklung wichtig ist. Die
anwendungsorientierte Forschung ist ein großer Pluspunkt der Ostfalia. Wir arbeiten direkt am
Produkt: an konkreten Bauteilen.
Achim Schmiemann: So ist es uns gelungen, das Thermoplastschaum-Spritzgießen neu zu erfinden.
Gemeinsam mit der Konzernforschung von Volkswagen haben wir dieses Verfahren entwickelt und
patentiert. Mit diesem Spezialverfahren werden Bauteile in Serie gefertigt.
Martin Müller: Wir haben es in einem Projekt möglich gemacht, Blechstärken zu reduzieren und mit
leichten Materialien den Steifigkeitsverlust zu kompensieren. Auf diesem Weg haben wir einige Kilos
und Kosten eingespart.
Warum gefällt Ihnen Ihre Arbeit?
Martin Müller: In der Forschung habe ich viele Freiheiten. Ja, ich muss für meine Ideen kämpfen,
doch kann ich viel bewegen. Mir gefällt es auch, mit den Studierenden zu arbeiten: Ich werde zwar
älter, aber die Studierenden bleiben immer jung. Die Zusammenarbeit ist daher sehr erfrischend.
Achim Schmiemann: Ich kann mich da nur anschließen. Wir arbeiten in spannenden Projekten.
Darunter das 3D4Space-Projekt, in dem wir mit Lehrstühlen der TU Braunschweig Weltraumforschung
betreiben. Unsere Aufgabe: Wie können wir Dinge recyceln, die im 3D-Druckverfahren auf Mond oder
Mars gefertigt werden? Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal in diesem Forschungsbereich landen
würde – auch wenn ich wohl nie eine Dienstreise zum Mond machen werde.